Warum wir wieder glauben wollen

Sind wir wirklich Papst? Ist der Glaube der moderne Trend? Oder ist alles nur Medienhype? In seinem neuen Buch beobachtet StephanKulle die religiöse und spirituelle Neubesinnung in unserer Gesellschaft. Sensibel und streitbar analysiert er, warum wir wieder glauben wollen. Stephan Kulle macht glaubhaft, warum sich Glauben lohnt



Scherz-Verlag, Fischerverlage Frankfurt am Main, Herbst 2006 ISBN13: 978-3-502-15055-8 ISBN11: 3-502-15055-9


LESEPROBE:
Ich möchte glauben, aber ich weiß nicht wie? Ich glaube an Gott, aber diese Kirche macht es mir schwer? Was soll ich noch glauben, wenn ich mir diese Welt ansehe? So und so ähnlich klingen die Fragen, die Menschen heute häufig stellen. Es ist überall die Rede von einem neuen Trend zum Glauben, manche sprechen sogar von einer Renaissance. Ist es ein Trend zum Glauben, zu Gott oder gar zur Kirche? Sind wir wirklich Papst, oder ist alles nur ein Medien-Hype? Ist es vernünftig zu glauben? \"Warum wir wieder glauben wollen\" ist ein Buch über die Suche nach Sinn, über den Glauben und über die Ratlosigkeit. Stephan Kulle schreibt über Kirchlichkeit, Religiosität und die Sehnsucht des Menschen nach Liebe, Hoffnung, Geborgenheit und Zukunft. \"Es gibt kaum einen kulturellen oder gesellschaftlichen Bereich, in dem man nicht Zeichen für eine Wiederkehr des Religiösen beobachten kann. Gemessen an gängigen Urteilen ist das selbst schon eine Sensation.\" Bischof Dr. Wolfgang Huber, EKD-Vorsitzender \"In Zeiten des Scheiterns vieler Lebensentwürfe, einer wachsenden Orientierungslosigkeit und großer Verunsicherung über verbindliche gesellschaftliche Werte kann religiöser Glaube Sinn stiften und Halt geben. Dieses Buch leistet einen wichtigen Beitrag, um die eigene Einstellung zum Glauben zu überprüfen.\" Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, Soziologe _______________________________________________________________________________ LESEPROBE: \"Glauben tut doch jeder\" Ich glaube, dass ich glaube. Und ich glaube auch, dass es in nächster Zeit Regen gibt. Ich weiß es zwar nicht genau, aber ich vermute, dass es regnen wird… Wir Menschen glauben zwischen Kenntnis und Unkenntnis und ohne endgültige Sicherheit. Wir glauben vertrauensvoll an einem anderen Menschen. Ist es denn eher leichtsinnig zu glauben, anstatt zu wissen? Ist vertrauendes Glauben das Ergebnis einer Überzeugung oder einer Erfahrung? Glauben heißt, etwas nicht genau beweisen zu können, es nicht unbedingt aus erster Hand zu wissen und dennoch daran festzuhalten. Heutzutage wissen wir viele Dinge und Fakten nicht aus erster Hand. Aber wir glauben sie dennoch gern, und manchem reicht schon die bloße Tatsache, dass sie in der Zeitung stehen, oder dass der Nachrichtensprecher sie im Radio verkündet, um sie als wahr anzunehmen. Bei der Fülle der Informationen, die sekündlich über die Datenleitungen aller Art um die Welt geschickt werden, ist es kaum mehr möglich, alle Informationen aus erster Hand zu erhalten oder gar unterscheiden zu können, welcher Überlieferungsgeneration dieses oder jenes entstammt. Auch wenn wir die ursprünglichen Quellen nicht kennen, beeinflussen viele Informationen unsere Entscheidungen. Der Mensch scheint also nicht nur im Religiösen auf den Glauben zu bauen, sondern er akzeptiert auch willig alle scheinbar real existierenden Fakten der Gegenwart. Wir glauben dem Arzt, der uns untersucht hat und eine Diagnose aufstellt. Wir glauben ihm auch, dass er alles richtig macht, wenn er uns Medikamente und Therapien verordnet. Wir glauben auch, dass die medizinischen Maßnahmen und Mittelchen tatsächlich helfen, dass sie das halten, was die Rote Liste und die Beipackzettel versprechen. Notfalls glauben wir auch der Werbung der Pharmaindustrie. und glauben, dass sie nur zum Wohl des Patienten und Konsumenten arbeitet. Der Profit ist folglich nur der gerechte Lohn. Wir glauben auch den Politikern, dass sie nicht über die Macht verfügen, um die Preise der lebenswichtigen Medikamente und Therapiekosten senken lassen zu können. Wir glauben wahrscheinlich auch, dass die Lobbyisten der Pharmakonzerne aus den gleichen menschenliebenden Beweggründen eifrig darauf bedacht sind, den Abgeordneten des Bundestages bei ihren Entscheidungen beizustehen. Natürlich ist der Bundestagsabgeordnete vom Volk gewählt und vertritt im Parlament auch die Interessen des Volkes. Wir glauben sogar den Prognosen der Meinungsforscher, die von den Parlamentariern beauftragt wurden, die Zukunftsdaten voraus zu sagen. Haben Sie nur ein einziges Mal wirklich gestimmt? Eher nicht. Aber zunächst glauben wir die gelieferten Fakten erst einmal. Oh wir glauben so vieles, ohne dass wir es merken, aber tun uns doch mit dem Glauben so schwer. Wir laufen auf dem Eis, ohne den Gedanken dass es einbrechen könnte. Und erst dann, wenn man uns darauf anspricht, werden wir so hektisch, dass uns das dünne Eis nicht mehr trägt und unter den Erschütterungen nachgibt. Glauben wir so manches auf Grund von Zuversicht oder aus Angst? Ist es eher Vertrauen oder Augenverschließen? Wie ist es mit dem Ja-Wort bei der Eheschließung? Glaubt und vertraut der eine Partner dem anderen, dass er sie und sie ihn wirklich bis zum Ende des Lebens liebt? Manche sagen dieses einsilbige Wörtchen „Ja“ sicher auch in Torschlusspanik, aus Angst, keinen mehr abzubekommen, manche sogar im Vertrauen auf ein hohes Bankkonto. Aber bleiben wir mal beim Grundsätzlichen. Diese Zusage bei der Eheschließung soll mit das Bewegendste sein, was der Mensch im Leben erfährt. Vielleicht wird bei manchen dann die Geburt eines Kindes noch darüber stehen. Aber ein „Ja“ in diesem Augenblick ist ein Versprechen, auf das man sich als Partner verlassen müsste. Heißt das „Ja“: „Ich glaube, dass du mich liebst und dass wir zusammengehören.“, oder heißt es: „ Ich weiß, dass du mich liebst und bei mir bleibst.“? Auf beiden Seiten ist der Glaube im Spiel, denn kaum jemand kann sagen, er hätte von vornherein alles gewusst und sei sich endgültig sicher gewesen. Er habe an den anderen geglaubt, ihm oder ihr geglaubt, und sei dann enttäuscht worden. Er habe geglaubt, weil der andere versprochen hatte, glaubhaft und treu zu sein. Vielleicht entsteht so der Schmerz in der Enttäuschung, wenn eine Liebe oder eine Ehe zerbrechen. Wir sollten aber auch an uns selbst glauben, denn wer so handelt, lebt froher und gesünder. Wer sich selbst nicht vertraut, bekommt bald ein Problem mit seinem Umfeld. Ein Beispiel: Krankhaft eifersüchtig ist oft der, der sich selbst nicht traut und nicht daran glaubt, dem anderen treu sein zu können. Glaubt auch der Atheist? Ich gebe zu, die Frage ist schwierig. Aber er glaubt zumindest, dass es keinen Gott gibt. Denn wissen und vor allem beweisen kann er es eigentlich auch nicht. Er muss zumindest auch an sich glauben, denn nur mit einem starken Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen kann er behaupten, dass es einen Gott nicht gibt. Wissen kann er es jedenfalls nicht. Also fehlt im auch die letztendliche Gewissheit für die Richtigkeit seines Denkens und Handelns. Also brauchen wir den Glauben wie das Blut in den Adern. Glaube gehört zu einer Schicht im Bewusstsein des Menschen, die tiefer ist, als die Vernunft und der Verstand, tiefer als die Nüchternheit wissenschaftlicher Fakten und Erkenntnisse. In dieser Schicht treffen Vertrauen, Liebe, Wissen, Erkenntnis und Erinnerung aufeinander. Sie ist weder frei von kritischer Nachfrage oder Zweifel, noch ist sie frei von Enttäuschungen. Es wäre sogar schlimm, wenn nur noch das Bauchgefühl zählte und der Kopf ausgeschaltet würde. Jeder Glaube, egal an wen oder was, braucht eine Entscheidung dafür oder dagegen. Schon allein deshalb braucht es den Denkprozess, der kausale Verknüpfungen mit Erfahrungen herstellt. Ohne diesen Abgleich wären wir blind, auch wenn wir sehen können. Wie schön ist es doch, wenn man glauben kann und sich dabei auch noch sicher und geborgen in seinen Entscheidungen fühlt.